Ein herzliches Willkommen aus dem noch nicht wirklich sonnigen, aber dennoch schon wärmer gewordenen Argentinien. Zumindest bis vor ein paar Tagen, denn getreu nach dem Motto "Zurück zum Ursprung", hat sich mein Gastland gleich wieder zu den Temperaturen des Anfangs zurückorientiert.
Langsam kehrt der schlichte Alltag zurück in mein Leben, denn nach der Zeit, die ich bisher bei meiner Familie, mit Freunden und in der Schule verbracht habe, bin ich kein Exot mehr an meiner Schule.
Anpassung an die Mehrheit, das ist etwas, was man in Argentinien beherrschen sollte, und ich kann voller Stolz sagen, dass mir das hier wesentlich besser gelingt als in Deutschland, was aber wahrscheinlich an dem Hinderniss der Sprache liegt, denn dank diesem ist es mir nicht immer möglich, alles auszudrücken, was ich will und an einer bestimmten Stelle existiert für mich eine Grenze meiner pantomimischen Fähigkeiten.
Die letzte Woche war für mich zwar anstrengend, hat für euch aber nicht viele interessante Neuigkeiten.
Die im vorigen Post erwähnte "Lengua"-arbeit habe ich von meiner Lehrerin mit überraschend wenigen Fehlern zurückerhalten und ich kann voller Stolz sagen, dass ich diese Prüfung trotz der Verständnisschwierigkeiten sehr gut gemeistert habe. Die schlechteste Note, die ich bisher geschrieben und Vorläufig erhalten habe, ist eine sieben in Führungsmanagement. Da die Notenskala in Argentinien von eins bis zehn reicht, wobei zehn die höchste Note ist, ist eine sieben durchaus keine schlechte Note und ich habe viele Klassenkameraden mit meinen Noten überholt. Wie genau einige dieser es geschafft haben, in einigen Fächern Einsen zu schreiben, bleibt mir allerdings rätselhaft.
Schule in Argentinien ist zweifellos ein Thema für sich.
Richtig und vollkommen daran gewöhnt habe ich mich noch nicht, muss ich sagen und auch wenn es hier einige Dinge gibt, die ich sehr schätze, bevorzuge ich in manchen, aber wirklich nur wenigen Punkten noch meine deutsche Schule.
Mein Schulalltag sieht zum gegenwärtigen Zeitpunkt so aus, dass ich des Morgens um 6:30 aufwache, wenn nicht gerade wieder ein Lehrer krank oder aus sonstigen Gründen verhindert ist, wie es in Argentinien wesentlich häufiger vorkommt, als in Deutschland
Nachts ist es mir leider nicht immer möglich viel zu schlafen, denn im Haus meiner Gastfamilie, ja sogar in dem mit "Jonas Brothers" und "Justin Bieber" tapeziertem Zimmer, das an manchen, freien Stellen immer noch einige rosa Stellen aufweist (ich nehme an, dass das die Farbe ist, in der der Raum eigentlich gestrichen ist, aber ganz sicher bin ich mir dieser Sache noch nicht) schläft einer der zwei Familienhunde.
Ein Dackel, geprägt von einer derartig nervtötenden Verhaltensweise, wie ich sie in meinen bisherigen sechzehn Jahren nur selten gesehen habe, doch meine Gastfamilie liebt dieses (ich bitte um Verzeihung für die folgende Bezeichnung eines Lebewesens) Vieh! Ich persönlich kann diese Neigung nicht verstehen und in meinen gelegentlichen Tagträumen liegt "Der Größte", denn das Tier wird Máximo gerufen, wenngleich es auch auf keinen mir bekannten Zuruf meinerseits oder von meiner Gastfamilie eine Reaktion zeigt, schon lange als Bettvorleger oder dergleichen schon lange im "Rosa-Jonas Brothers-Justin Bieber-Zimmer".
Am liebsten vor der Schlafstätte meiner Gastschwester.
Mögliche Mordmethoden schweben mir schon genügend durch den Kopf, aber eigentlich ist alles, was ich mir diesbezüglich wünsche, dass er mich des Nachts durchschlafen lässt. Ist diese eine Forderung an diesen Hund denn zu viel verlangt?! Es scheint so, denn dieses Jaulen, dieses Kläffen...
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Maximo - Der Schrecken meiner Träume
(wahrsten Sinne des Wortes) |
Manchmal frage ich mich, ob der Hund diese Geräusche wirklich nur aus Versehen macht, oder ob er sich eigens hinstellt um mich zu terrorisieren.
Ich tendiere zur zweiten Möglichkeit, denn ein Hund der ein eigens Facebook-Profil besitzt, ist zu allem fähig.
Die Nächtliche Ruhe in einem Zimmer mit dem Hund wird wohl für ewig ein Traum bleiben, aber eines hat die Sache des Kleinkrieges mit einem Hund: Er stirbt früher, also bin ich klar im Vorteil. Nur eben jetzt noch nicht...
Nachdem ich also aufgewacht bin und meine Schwester sich auf zum Bad macht, in dem sie vermutlich die nächsten 25 Minuten bleiben wird, stelle ich mir wie jeden Morgen die Frage, weshalb ich mich eigentlich aus meinem warmen und kuscheligen Platz ganz für mich, in die kalte, böse und so gar nicht kuschelige Welt begebe und wie auch jeden Morgen in Deutschland, stehe ich zu irgendeinem Zeitpunkt dennoch auf und tausche meinen warmen Lieblingsplatz gegen die Kälte der restlichen Welt ein, ohne eine Antwort auf meine
eigentliche Frage gefunden zu haben.
Nachdem meine Gastschwester, wie bereits erwähnt, ihre morgendliche halbe Stunde im Bad verbracht hat, weil das Kämmen der Locken sich als ungedacht schwierig erweist und man dieses aber nur im Bad erledigen kann, begebe ich mich nun unter den Zurufen meiner Gastschwester, ich müsse mich beeilen, denn sonst kämen wir zu spät zum Unterrichtsbeginn, ins Bad, wo mir nur noch zehn Minuten für das allmorgendliche Geschehen dort bleiben.
Im Anschluss an das Verlassen dieses Ortes mit halb geschlossenen Augen und dem allmorgendlichen Schlürfen meines Kakaos mit dem mir eigenen Elan, der mich morgens auch aus meiner Schlafstätte bringt, kommt von meiner Schwester jeden Morgen die hochintelligente Frage, wie viel Uhr es denn jetzt ist, obwohl sie eine Uhr direkt auf dem Tisch vor sich stehen hat, es ihr aber zu viel Mühe bereitet diese zu lesen, weil sie kein digitales Ziffernblatt besitzt, weshalb meine Mutter aufsteht, sich hinter sie stellt und ihr ihre Frage beantwortet, nachdem sie sich dem Anblick der Uhr eine weitere halbe Minute hingegeben hat.
Letztendlich fällt dann jedem auf, dass wir schon wieder spät dran sind und während meine Schwester mir kreischend die Schuld dafür gibt, denn ich läge morgens einfach zu lange im Bett (ihre halbe Stunde Bad fällt dabei natürlich in keiner Weise ins Gewicht)).
Während also meine Schwester langsam dem Wahnsinn verfällt und ich noch langsam meinen Kakao trinke, weil mir dieser morgendliche Prozess schon bekannt vorkommt, setzt meine Mutter das Auto raus, doch wegen der sehr engen Einfahrt zum Stellplatz desselben machen sich langsam Schweißtropfen auf ihrer Stirn breit und jedesmal denke ich, dass wir uns gleich mit einem Seitenspiegel weniger auf den Weg begeben, doch bis jetzt hat sich diese Prophezeiung noch nicht erfüllt. Ich warte.
Nach einer mich aus den morgendlichen Gedanken anfangs noch herausreißenden Fahrt, denn meiner Mutter ist ein etwas nonkonformistischer Fahrstil eigen, kommen wir trotz aller Befürchtungen meiner Gastschwester dennoch pünktlich an der Schule an, sie verabschiedet sich von meiner Mutter und ignoriert mich nun fast vollkommen und so begeben wir uns getrennten Weges auf zur Treppe, die uns zu den Unterrichtsräumen führt.
Wozu genau diese morgendliche Separation dient, habe ich zwar noch nicht erkannt, mit einer morgendlichen Empörung oder Aufgebrachtheit über meine Rolle beim fast zu spät zur Schule kommen hängt sie jedoch nicht zusammen, denn in der nächsten Pause ist sie wieder so lieb wie immer.
Jedenfalls kommen sowohl sie als auch ich vollkommen zwar hochpünktlich aber auf Grund des bisherigen Morgens etwas verhetzt zum allmorgendlichen Appell auf dem Schulhof an und begeben uns zu unseren Klassen, denn das "Grüppchenbildungsprinzip" funktioniert hier fast genau wie in Deutschland, mit dem Unterschied, dass die Gruppen größer sind und verschiedenere Charaktere umfassen, als ich es aus meiner Heimat gewohnt bin.
Wie jeden Morgen leide ich unter leichten Verständigungsschwierigkeiten, denn mein Kopf sträubt sich sehr gegen die anstehende Zeit der Konzentration und so bleibt es mir noch schleierhaft, welcher meiner Mitschüler mir wann, was und wie miteilen will, aber es ist mir bewusst, dass sich dieser Schleier die nächsten Stunden langsam heben wird, bis ich gegen Ende des Schultages endlich wieder vollkommen konzentriert bei der Sache bin. Bis zu diesem Zeitpunkt beschränkt sich meine Tätigkeit auf "Lächeln und Nicken", etwas was ich hier wohl noch zur Perfektion bringen werde und etwas, womit ich hier fast jede Situation ohne größere Schwierigkeiten und Hindernisse meistern kann.
Auch im Unterricht ist diese Taktik, gut angewandt, sehr erfolgreich, wenn man gerade wieder unter Fächern wie Führungsmanagement und Firmenaufbau droht einzuschlafen. Im besten Falle fügt man bei guter Stimmung und an der richtigen Stelle noch ein "Si, Si" in den Ablauf an, wenn einen der Lehrer fragend anschaut, denn vermutlich hat er gerade wieder gefragt, ob ich auch alles verstanden habe, was er gerade gesagt habe.
Obwohl ich natürlich nicht alles verstanden habe, nicke ich also brav und füge mein freundlichstes Lächeln hinzu und schon wieder ist der Lehrer begeistert, dass ich in den vergangenen Wochen schon so viel gelernt habe und fragt mich vermutlich zum zweiundzwanzigsten Mal, wie lange ich denn noch in Argentinien bleibe und ich spule, wie vom Band, die mittlerweile immer gleich klingende Antwort auf diese Frage ab.
Und wieder ist der Lehrer so begeistert, als hätte ich gerade einen Vortrag über ein hochphilosophisches Thema auf Spanisch gehalten und fragt sich, wie ich denn diese Sprache nur so schnell lernen kann...
Also, nicken, lächeln, "Si,si" sagen und innerlich schon wieder zu Hause im Bett liegen, denn frühes aufstehen gefällt mir nicht und so bin ich den gesamten Tag über müde und wünsche mir meine Schlafstätte unter mich, damit ich zurücksinken und träumen kann...
Doch bei diesen Gedanken zeigt meine Armbanduhr erst 8:30 an und ich wundere mich, denn mir kam es so vor, als würde ich mich schon länger als nur diese eine Stunde in der Schule aufhalten.
Aber grundsätzlich bemühen sich die meisten meiner Lehrer hier so sehr um mich, dass der so endlos erscheinende Schultag nach neun vierzigminütigen Sitzungen zur Neige geht und ich nach mindestens zwei "Criollos" (das sind sehr leckere und sehr fetthaltige Brötchen, die man in unserer Schule immer warm am Kiosk kaufen kann), die ich am Abend wieder bereue, weil ich diese auch irgendwie wieder los werden muss, nach Haus gehe und währenddessen mit meinem neuen iPod touch, den mein einer bester Bruder mir zum Geburtstag geschenkt hat und auf dem dieses auch eingraviert ist und mein anderer bester Bruder mir geholfen hat, meinen Laptop wieder so ans Laufen zu bringen, dass ich Musik laden und euch nunmehr mit deutschen Sonderzeichen aus Argentinien begrüßen kann, Musik höre und froh bin, dass es mir nach einigen Wochen Abstinenz, erst wegen fehlender Kopfhörer, die ich durch Dauerbenutzung zerstört habe und dann durch das Fehlen eines Musikplayers, wieder durch beste Musik entschweben kann.
Während des Nachhauseweg ist es gewiss, dass mindestens alle zwei Tage irgendein Vollidiot sein Autofenster herunterkurbelt, denn in den hiesigen Autos gibt es so etwas noch (ich frage mich bisweilen wirklich, wie es einigen Autos überhaupt noch möglich ist auch nur auf der Straße zu stehen) und mir etwas zuruft, was ich glücklicherweise nicht verstehe.
Dafür, dass ich eigentlich gar nichts zu erzählen hatte, ist der Eintrag schon wieder recht lang geworden.
Es liegt mir wohl einfach nicht, mich kurz zu fassen. Diese Fähigkeit hatte ich schon in der Grundschule nicht und während meiner weiterführenden Schulzeit in Deutschland hat sich diese Eigenheit in den meisten Dingen nicht gerade zurückgebildet...
Zur Zeit befinde ich mich übrigens erkältet im Bett.
Heute habe ich dem Arzt einen Besuch abgestattet, nachdem ich nach der 5. Schulstunde nach Hause gegangen bin, weil es mir einfach nicht gut ging, und dieser Arzt hat mir jetzt erstmal Bettruhe verordnet.
Ausgerechnet zum Geburtstag meiner Gastmutter, der morgen ansteht, werde ich krank, aber viel Glück hat mich ja bisher in den wenigsten Dingen ausgezeichnet.
Ich neige eher dazu, dass alles schiefgeht, wenn die Möglichkeit besteht, dass sich eine Sache auf Glück beschränkt.
Und trotzdem freue ich mich auf die kommenden achteinhalb Monate mehr uns bestelle schöne Grüße an alle, die mich kennen,
Anja,
aus ihrem Bett in Argentinien